Ehemalige
Gastwirtschaft
"Germania", Neukirch (Lausitz)
Wenn
der Besucher Neukirchs/Lausitz auf der Bundesstraße 98 von Bischofswerda in
Richtung Steinigtwolmsdorf fährt, so passiert er die rechter Hand liegende Südstraße,
an deren Beginn er ein dreifach gegliedertes Gebäude sieht. Dieses wird
momentan für Wohn- und Gewerbezwecke genutzt.
In
früheren Zeiten befand sich dort die Gaststätte "Germania", welche
eine beliebte Lokalität der Jahrhundertwende war.
Seit
dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts bis in die 30er Jahre des 20.
Jahrhunderts befand sich dieses Objekt im Besitz der Familie Richter, später
der Familie Hultsch.
Das Gebäude bestand ursprünglich aus dem noch immer existierenden Mittelbau, welcher im Obergeschoß eine Holzverkleidung besaß. Rechts war ein kleinerer Gebäudeteil angefügt, welcher um 1970 seine jetzige Gestalt erhielt, und in früheren Zeiten wahrscheinlich das Ausgedingehaus war. Der Ziegelbau auf der linken Seite wurde am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert angebaut.
Den
Vereinen stand ein Vereinszimmer zur Verfügung, welches im linken Gebäudeteil
hinter der Gaststube untergebracht war. Zu den einkehrenden Vereinen und Gruppen
zählten zum Beispiel ein vaterländisch orientierter Verein, die Feuerwehr und
die Damenriege des Turnvereins nebst Turnwart.
Sehr
beliebt war die Gaststätte auch bei den Steinbrucharbeitern, welche nach
schwerer Arbeit dort ihr wohlverdientes Bier genossen.
Daneben
waren aber auch Familien und der alltägliche Besucherverkehr in der Germania
stets gern gesehene Gäste.
Nach
dem zweiten Schild an der Vorderfront des Gebäudes befand sich im Haus noch
eine Destille, also eine Branntweinbrennerei.
Im Adreßbuch der Gemeinde Neukirch von 1927 erscheint die Germania unter der Bezeichnung "Zur Germania".
Über
den genauen Ursprung der "Germania" ist kaum etwas bekannt. Man kann
deshalb nur anhand der spärlichen Unterlagen Vermutungen anstellen.
Im
Brandkataster der Gemeinde Niederneukirch vom 23.09.1861 wird unter dem Grundstück
Hausnummer 150 (Straßennamen gab es damals noch nicht) ein Johann Gottlob
Hartmann geführt, dessen Anwesen wie folgt beschrieben wird: "a) das
Wohngebäude mit Stall nebst angebautem Backofen, Vorhaus mit Stubenanbau b) das
Ausgedingebäude mit angebautem Schuppen Holzschuppen".
Von
einer Gaststätte ist also keine Rede.
Das
Photo aus der Zeit um 1885 zeigt das Gebäude mit drei Schildern. Auf diesen
stand "Restauration und
Speisewirthschaft", "Material
Waaren" und "Fleisch-/
Wurstwaaren". Außerdem waren an der Gebäudefront zwei Wachtelhäuschen
angebracht. Diese Tiere wurden darin als Haustiere gehalten. Da sie bereits sehr
früh am Morgen ihren Gesang begannen, dienten sie wahrscheinlich auch als eine
Art Wecker.
Es
ist anzunehmen, daß die Kinder von Amalie und Karl Richter bereits frühzeitig
in der Wirtschaft mit helfen mußten. Die Tochter Mathilde führte später das
Unternehmen weiter. Ihr Mann Carl Hultsch arbeitete als Gastwirt und
Fleischbeschauer. Ob darin die Fortführung der Bankfleischerei besteht, kann
nicht gesagt werden.
Von
Amalie Richter ist bekannt, daß sie eine recht große, hagere und ernste Frau
gewesen ist.
Nach
dem Tod von Mathilde Hultsch wurde die "Germania" nach annähernd 70
Jahren in Familienbesitz verkauft und war noch einige Jahre beliebter Treffpunkt
für jung und alt.
Anfang der 50ziger Jahre wurde die "Germania" schließlich für immer geschlossen.
Die
letzten Betreiber bis dorthin hießen nacheinander Richard Probst, Raul Radon
und ein Herr Schumann.
Carl
Gottlob Richter, Gastwirt,
geb.
am 17. Juli 1844 in Ringenhain
verst.
am 8. März 1897 in Niederneukirch
Amalie
Auguste Ernestine Berthold,
geb.
am 26. Juni 1845 in Oberneukirch
verst.
am 14. Dezember 1928 in Neukirch
Deren
Tochter Mathilde Hultsch führte mit Ihrem Mann die Gaststätte weiter.
Carl
Wilhelm Hultsch, Gastwirt und Fleischbeschauer,
geb.
am 1. August 1868 in Oberneukirch
verst.
am 2. Dezember 1920 in Neukirch
Maria
Mathilde
Richter,
geb.
am 13. Mai 1868 in Niederneukirch
verst.
am 14. Juni 1935 in Neukirch
Die Gräber der beiden Gastwirtsehepaare befinden sich noch immer auf dem neuen Neukircher Friedhof. Betritt man den Kirchhof und wendet sich sofort links, so findet man an vierter Stelle an der Außenmauer die Grabstätte.
Auf den beiden letzten Bildern sind ein Besteck und ein Bierkrug mit dem Porträt des sächsischen Königs Albert zu sehen.
Das vorläufige Ende ereilte das Gebäude der ehemaligen Gaststätte "Germania" im März 2005 mit dem (teilweisen) Abriss.
(Marcel Richter September 2000, Ergänzung März 2005)